Donnerstag, 27. Januar 2011

In den Bergen

Kodaikanal, die Sommerflucht vieler betuchter Inder: Ein kleiner Ort auf 2.100 m Seehoehe, der uns waermstens als kleine Oase empfohlen wurde - nach 6 Stunden Irrfahrt wegen blockierter Strassen kommen wir geraedert mitten in der Nacht an. Der erste Eindruck ist laut, dreckig, ueberfuellt. Nach der Ruhe im Nationalpark kann ich die Hektik nur schwer ertragen, jedes einzelne Hupen strapaziert meine Nerven. Es ist nass und kalt und dem Zimmer, das wir letztendlich finden, kann man nur wuenschen, dass es irgendwann schon mal bessere Tage hatte. Es riecht penetrant nach Schimmel, Spinnweben haengen tief uber dem Bett und wir desinfizieren uns die Haende nachdem wir das Bad verlassen haben. Das ist nicht neu auf dieser Reise, aber zuviel fuer diesen einen Tag.






Am naechsten Tag scheint die Sonne und wir flanieren ueber den Wochenendemarkt in einer Seitenstrasse. Indien hat mich schnell wieder in seinen Fängen - nach wundervollem Fruehstueck auf einer ruhigen Terrasse (verdammt, ich bin wirklich einfach zu bestechen!) und dem Wechsel in ein suesses Guesthouse mit Kamin und Blick weit ueber die Taeler, bin ich versoehnt und bereit fuer die naechsten zwei Tage in den Bergen. Der Markt fasziniert mich gleichermassen, wie er mich abstoesst. Frauen in bunten Saris verkaufen exotisches Obst und wir testen uns durch unbekannte Sorten. Es gibt Kuechengeschirr, Gewuerze, Besen, Gemuese, Gemuese und nochmal Gemuese, Kraeuter, Buecher, Holzspielzeug, Kautabakak, Betelnuesse, Kokosnuesse und es gibt... Fleisch. 




Ich kann mich nicht daran gewoehnen, dass Tiere an Ort und Stelle geschlachtet werden - vor mir auf einem Tresen liegen drei Ziegenkoepfe, zwei Meter dahinter wird ein Junges gerade ausgeweidet, waehrend seine Leidensgenossen eng aneinander gebunden an ihrer Henkersmahlzeit im vertrockneten Gras kauen. Ein Rudel Fische schnappt in einem kleinen Eimer verzweifelt nach Sauerstoff. Huehner sind in engen Kaefigen uebereinandergestapelt und als ein Kauefer auf einen der Voegel deutet, wird er herausgezogen und stimmt ein markerschuetterndes Kreischen an. Ich wende den Kopf, als das Messer an die Kehle des Tieres gesetzt wird und verfluche meine Doppelmoral. Fuer einen Moment muss ich sofort hier raus. Wegsehen ist zuhause einfacher.

Montag, 24. Januar 2011

Sleeping Elephant

Teeplantagen in Munnar
Nach zwei vergleichsweise beschaulichen Tagen in Munnar, Indiens groesstem und hoechstgelegenem Teeanbaugebiet, pirschen wir nun im Chinar-Nationalpark auf leisen Sohlen einem Tribal-Guide hinterher, der uns den Weg durchs Dickicht mit der Machete freihackt (uns wurden "armed forces" versprochen, wir haben armed forces bekommen, ha!) Er spricht ein Englisch, das genausogut Arabisch sein koennte und deutet fallweise, unverstaendliches Zeugs brabbelnd, gen Boden, gen Himmel oder gen sonstwohin. Als botanische und zoologische Baustelle im Aushubstadiums des Kellers verstehe ich kein einziges Wort, denke aber immerhin begeistert sowas wie "ah, huebscher Vogel", "oh, gruener Baum" und "Treffer, Affe, kenn ich!" und erhasche zwischendurch gefluesterte Vermittlungsversuche meines immerhin etwas bewanderteren Begleiters. Auf dem Weg umschiffen wir riesige Elephantenhaufen, die sogar ich identifizieren kann, und begegnen hintereinander den Orten wo Familie Bison Pipi gemacht und Familie Wild ein Nickerchen gehalten hat (wohlgemerkt ohne die Viecher selbst zu Gesicht zu bekommen). Dafuer wackelt ein Pfau treuherzig ueber unseren Weg.

Ich frage vorsichtig nach Schlangen. "No snakes, too hot, no snakes". Vor meinen skeptischen inneren Auge erscheinen Bilder von sich laessig in der Sonne raekelnden Ottern und durch Wuestensand rasenden Vipern. Zu heiss fuer Schlagen? Okay. Er ist der Experte. Ich stapfe weiter tapfer durchs Gemuese.

Ploetzlich gibt der Jungle den Blick frei auf einen grauen Felsen, etwa 20 Meter von uns entfernt. Der Guide stoppt. Wir erstarren. Vor uns liegt das monstroeseste Hinterteil, das sich mir jemals entgegengestreckt hat, den Schwanz laessig zwischen die fetten Beinchen geklemmmt. Ein Seitenschlaefer. Unser Guide schleicht sich langsam mit unserer Kamera naeher und knipst was das Zeug haelt (wir werden zuhause damit prahlen, den Ruessel aus 10 Zentimeter Enfernung selbst inspiziert zu haben).


Dumbo hat einen seichten Schlaf und ein gutes Gehoer, denn ruckartig kommt Leben in den Koloss. Der Guide spurtet schlagartig los und zeigt wild gestikulierend auf den bergauf fuehrenden Pfad. In Anbetracht der Umstaende nehmen wir (nur ein klitzekleines bisschen panisch) die Beine in die Hand, vor uns der rasende Guide, hinter uns ruesselschwingend, Trompete blasend und gar nicht mehr muede der graue Riese. Wir keuchen und entkommen. Soviel muss man den Indern lassen - die Show, die sie einem hier bieten ist echt nicht uebel.

Unser einsames Quartier im Nationalpark ist grandios. Unter uns erstreckt sich der Fluss, vor unserer kleinen Huette lodert ein Feuer und in der Nacht trappelt Getier auf dem Dach. Am Morgen nehmen wir ein eisiges Bad und trocknen unsere Koerper auf dem heissen Gestein. Ich bin untroestlich, diesen Ort zu verlassen. 




Retour bei der Parkverwaltung treffen wir auf einen der wenigen anderen Touristen, der die Nacht an einer anderen Stelle im Park verbracht hat. Ein Deutscher. "Der Guide war mies, die hygienischen Zustaende katastrophal, im Klo war eine Spinne und Grosstiere haben wir keine gesichtet. Aber die Koenigskobra am Ufer, die war super."

Liebgewonnene Begleiter im Eingangsbereich des Nationalparks


Mittwoch, 19. Januar 2011

Aufgetaucht

Wir sind soeben aus dem Paradies entflohen - ein kleines Dorf auf einer Insel mitten in den Backwaters, nur ueber den Wasserweg zu erreichen.

Warten auf die Fähre
Kanal in unserem Dorf in den Backwaters

Radtour mit Hindernissen
In Kuerze faehrt unser Bus nach Munnar, hinein ins Landesinnere von Kerala, in die Huegel der Teeplantagen. Daher nur kurz: Viele Umarmungen, es geht uns gut und ich lasse von mir hoeren, sobald wir wieder in der verkabelten Welt sind (vielleicht ist das dort ja auch der Fall).

Sonntag, 16. Januar 2011

Tempel

Vor kurzem erreichte mich ein geschaetzter Leserwunsch doch einen Bericht ueber indische Tempel zu verfassen. Zufaellig kam ich gestern wieder an einem vorbei. Somit - voila (den Accent auf dem "a" muesst ihr euch denken, sowas geben indische Tastaturen nicht her):


Unsere Unterkunft in Trichy hat genau das, was findige Immobilienmakler gemeinhin als "verkehrsguenstige Lage" bezeichnen wuerden. Direkt vor der Tuer befindet sich die Central Bus Station, was fuer unser Besichtigungsvorhaben tatsaechlich einen gewissen Vorteil bringt. Der Laerm allerdings ist ohrenbetaebend. Es hupt, trillert, pfeift, schreit und quaekt ohne Unterlass und dringt selbst durch geschlossene Fenster in das hofseitig (!) gelegene Zimmer. Auf der Suche nach Line Nummer 1, die uns zu unserem Tempel bringen soll, versuchen wir bei der Ueberquerung der Strasse nicht von wildgewordenen Tuktuks, Rikschas, Motorrollern und Taxis ueberfahren zu werden, weichen gleichzeitig den gefuehlten tausenden Menschen aus, die aus allen Richtungen heimtueckisch auf uns zustroemen und starten den Hindernislauf durch Gemuesehaendler, bettelnde Kindern und Blumenkraenzchenverkaeufern.


Haltestellen hierzulande haben einen gewissen Empfehlungscharakter. Die Busse bewegen sich langsam rollend, manchmal auch schnell gallopierend (nicht zu vergessen hupend, hupen ist echt wichtig!), in der 10-Meilen-Zone vor oder hinter der Station und wenn man selbstbewusst genug ist, hechtet man durch die offene Tuer. Wir hetzen wiedermal an ebendieser vorbei, werfen unsere Frage ins Innere und ernten das typisch indische Kopfschuetteln. Sieht aus wie "nein", heisst aber meistens "ja" (oder irgendeine Unterart davon). Weil der Fahrer in dem Gemetzel drin und draussen unmoeglich noch den Ueberblick behalten kann, ob er gerade stoppen oder fahren soll, gibt es einen Schaffner, der nicht nur Geld kassiert, sondern auch mittels Pfeifchen Anweisungen nach vorne trillert. Wir koennen "Stopp" and "Go" identifizieren, vermutlich gibt es aber auch Toene fuer "Unter dem Hinterrad schlaeft noch ein Sadhu" und "Das war jetzt die dritte Katze heute".

Wir kommen plattgedrueckt beim Sri Ranganathaswamy-Tempelkomplex an. Der ist auch sehr schoen und auch sehr gross, mit vielen Menschen, die etwas verkaufen, etwas wollen oder etwas beten. Lieber C aus L, zuhause zeige ich ganz viele tolle Tempelbilder, ich versprechs.

























Wir sind mittlerweile in Kerala, Cochin, an der Westkueste gelandet und brechen morgen in ein kleines Dorf in den Backwaters auf - daher werden die naechsten Nachrichten vermutlich etwas auf sich warten lassen. Kuesse in die Heimat und danke fuer die vielen liebevollen Nachrichten!



Freitag, 14. Januar 2011

Inder des Tages

Jeden Tag aufs Neue kuere ich meinen persoenlichen Lieblingsinder. Frauen scheinen in meiner Wertung nicht vorzukommen, also geht der Preis heute an den Fahrer, der uns von Mamallapuram nach Trichy gebracht hat, weil wir mal wieder verabsaeumt haben, den Zug fruehzeitig zu buchen. (Wir versuchen es hartnaeckig mit dem Budget-Reisen, aber irgendein klitzekleiner Luxusausreisser macht uns immer wieder einen Strich durch die Rechnung.)

Unser Fahrer also steht mit nacktem Oberkoerper vor seinem Wagen und sieht mich gehetzt an. Offensichtlich hat er die Uhrzeit verpennt - er deutet auf die Uhr und verspricht in fuenf Minuten die paar Meter weiter an unserem Guesthouse zu sein. Als wir einsteigen erklaert er uns, dass er noch einen kleinen Umkleide-Umweg in sein Dorf machen muesse, weil er das Hemd hier schon seit drei Tagen traegt. Er gaehnt uns an. Ausserdem habe er seit Tagen nicht geschlafen, weil er vollgebucht mit Nachttouren zum Flughafen sei. Mal ehrlich, vor einer 5 Stunden Fahrt haette er mal ruhig ein bisschen schwindeln koennen, das sind wir hier gewohnt.

Sein Dorf ist Balsam. Wir passieren gruene Reisfelder, auf denen Wasserbueffel grasen (gut, vielleicht grasen sie auch auf irgendwas Gruenem davor oder dahinter), Kokospalmen sind malerisch in die Szenerie drapiert und Frauen in bunten Saris winken freundlich. Nach all dem Grossstadttrubel und dem touristischen Treiben wirkt das hier wie genau die Indien-Attrappe, die ich bestellt habe. Vor seiner Huette wartet eine Horde an kleinen Jungs und endlich habe ich mal die Mitbringsel bei der Hand, die ich seit zwei Wochen mit mir rumschleppe. Waehrend unser Lenker also sein Hemd wechselt, liefern wir uns ein Gemetzel mit den Kids, bei dem  Lufballon "Neonpink" und Luftballon "Quietschgelb" eine entscheidene Rolle spielen. Wir sind umzingelt von einer grinsenden, rangelnden, johlenden Meute, die uns aufgeregt entgegenspringt. Als wir weiterrollen, versuchen 10 kleine Kinder ihre Koepfe und Haende gleichzeitig durch das Autofenster zu stecken und begleiten uns ein Stueck des Weges.

Ich koennte den Fahrer kuessen.



Donnerstag, 13. Januar 2011

Ein paar Gedanken zur Armut

Im Grunde beginnt diese Reise mit einer Begegnung im Flieger von Muscat (Oman) nach Delhi. Unsere Sitzplaetze liegen eingebettet in eine Gruppe indischer Gastarbeiter, die ihren seltenen Heimaturlaub antreten. Um ihre Familien ernaehren zu koennen bezahlen sie den Preis der Isolation, fern von ihren LIebsten. Die Gesichter lassen Entbehrungen ahnen, die Haende sehnig und voller Risse. Unser Sitznachbar, eingekeilt am Fenster und zu weit weg von seinen Kollegen, streckt Christoph verlegen seinen Reisepass und das Einreiseformular entgegen - es vergehen ein paar Sekunden, bis wir begreifen: Er bittet um Hilfe beim Ausfuellen. Mit zusammengebissen Zaehnen setzt er am Ende krakelig seinen Namen unter das Papier. Etwa ein Drittel der indischen Gesamtbevoelkerung kann weder lesen noch schreiben, mehr Frauen als Maenner und mit einem deutlichen Nord-Suedgefaelle.


Seit Tagen grueble ich, ob und wie ich meine Eindruecke ueber die Armut in diesem Land beschreiben soll, ohne mich mit meinem Halbwissen auf Glatteis zu begeben. Ich beschraenke mich darauf, was ich sehe und fuehle, Indienkenner moegen mir verzeihen. Vor allem im Norden begegnen uns bei jedem Schritt dutzende Menschen, die auf der Strasse leben. Zu spaerlich bekleidet fuer die winterlichen Temperaturen, durchwegs ohne Schuhe und bestenfalls in Decken gehuellt liegen und kauern sie in den Gassen, auf den Gehsteigen, in den Stationen. Wo sie unerwuenscht sind, wachen Guards in den Toren: Vor den noblen Shopping-Malls und den Wohngegenden der Gutsituierten. Uns begegnen Kinder, die mit verkrueppelten Beinen auf einem Holzbrett mit Rollen vorbeifahren, verfaulte Armstuempfe, notduerftig verbunden, bitten um Almosen und ich kann die Frauen nicht mehr zaehlen, die uns mit bruellenden Babies im Arm nachlaufen, die Milchflasche vor unseren Gesichtern schwenkend. 

Mein rationales Reisefuehrer-belesenes Hirn sagt: Besser an Hilfsorganisationen spenden als  direkt auf der Strasse, zu gross ist das Fass ohne Boden. Saeuglinge werden absichtlich hungrig gehalten (Weinen macht mehr Eindruck als friedliches Schlafen), KInder liefern das erbeutete Geld direkt bei Bandenbossen ab, vielfach hungern diejenigen, die betteln, abends weiter. Mein Herz aber sagt: Machs trotzdem - und wir geben ein paar Scheine, wo mir die Seele zu bersten scheint, in der Hoffnung, dass es in Ansaetzen da ankommt, wo es gebraucht wird. Dankbarkeit im europaeischen Sinne darf man nur selten erwarten: Die Gesichter zeigen wenig Regung, nach einer Spende existieren wir nicht mehr. Ein kleiner Junge laeuft uns mit einem Becher entgegen und zeigt auf die eben gekaufte Limonadenflasche: Christoph giesst ihm ein und sofort schickt die Mutter das zweite Kind vorbei. Wir schenken auch dort den grossen Becher halb voll und uns wird gedeutet: Mehr, mehr. Kein Danke, keine Verabschiedung. Ich gewoehne mich nur langsam daran.



Wir kaempfen immer noch mit einer heftigen Erkaeltung und erholen uns noch den restlichen Tag in Mamallapuram, bevor es morgen weitergeht nach Tiruchirapalli (Trichy) - heute gibt es noch richtige Taschentuecher, Klopapier, heisses Wasser, Second-Hand-Buecher und Nutella-Crepes. Ein Traveller-Schlaraffenland. Lonely Planet sagt: The Kingdom of Backpackistan und wir koennen dem nur zustimmen. Passend dazu habe ich Zoepfchen im Haar und trage Pluderhosen. Yeah.



Dienstag, 11. Januar 2011

Varanasi

Fast waren wir versucht ein Bad im Ganges zu nehmen, um uns von allen Suenden reinzuwaschen, aber sowohl der Verschmutzungsgrad des heiligen Stroms (dem man allerdings unerklaerliche Selbstreinigungskraefte zuschreibt) als auch die Null Grad Aussentemperatur hielten uns dann doch davon ab. Unsere Schandtaten bleiben uns. Am Manikarnika Ghat, der Hauptverbrennungsstelle am Fluss, tragen die maennlichen Verwandten den Leichnam eines Verstorbenen zum Ufer, wo er kurz ins Wasser getaucht wird - der aelteste Sohn, in weiss gekleidet, laesst sich die Haare scheren. Kurze Zeit darauf wird er den Scheiterhaufen entzuenden.


Traveller sind hier erwuenscht, solange sie respektvoll im Hintergrund bleiben und keine Fotos machen. Wohlwissen, dass wir dafuer zur Kasse gebeten werden, folgen wir einem indischen Jungen - zum heiligen Feuer, an dem alle Bestattungen entfacht werden und dessen Asche wir auf unsere Stirn malen (Glueck fuer unsere Reise). Am Ende der Tour werden wir ueber die Preise fuer Holz aufgeklaert und finden uns am Boden knieend vor einer winzigen, uralten Inderin, die Geld sammelt fuer die Feuer der Bettler, Armen, Unberuehrbaren. Wir spenden und werden gesegnet - waehrend sie auf meinen Kopf klopft, murmelt sie duester vor sich hin und ich habe Gaensehaut (ich moechte nicht wissen, welche Verwuenschungen sie auf Lager hat, wenn sie weniger gute Laune hat).


Auch bei Tag ist Varanasi ein magischer Ort. Kinder spielen Cricket und lassen Drachen steigen, in den engen Gassen huschen Ratten ueber die feuchten Boeden, ueberall blockieren Ziegen und Kuehe den Weg. Von den Strassen dringt das Hupkonzert der Autorikschas und Taxis ans Ufer -  die Glaeubigen baden, waehrend Touristen mit Booten an ihnen vorbeigerudert werden. Saddhus possieren fuer Kleingeld vor der Kamera, Obdachlose an jeder Ecke, hunderte erfrieren hier in diesen Tagen. Heiliger Wahnsinn. Wir entdecken eine "German Bakery" und warten eine Ewigkeit auf unser Fruestueck - als wir endlich bezahlen, steckt eine Kuh den Kopf durch das Fenster und der Eigentuemer wirft ihr ein Croissant ins Maul. Wir lernen: Nur wer heilig ist, bekommt sein Essen sofort (sie komme taeglich, wird uns berichtet).


Mittlerweile sind wir 2.000 km weiter suedlich gelandet, nahe Chennai, in Mamallapuram, und der Kontrast koennte groesser nicht sein. Ich habe es endlich geschafft, mich mit einer Erkaeltung anzustecken und schniefe und huste bei 25 Grad im Schatten. Fuenf Minuten von mir entfernt liegt der Strand und vermutlich bleiben wir erstmal ein paar Tag in dieser Gegend. Kuesse in die Heimat!

Sonntag, 9. Januar 2011

Marudhar Express

Viele der Zuege in Agra starten mit bis zu 20 Stunden Verspaetung und die verfuegbare Bodenflaeche der Bahnhofs- und Wartehallen ist gefuellt mit sich uebereinanderstapelnden Gliedern und Gepaeckstuecken. Die Kombination von Blockaden der Gleise wegen eines Streiks in Rajastan und anhaltendem Nebel machen Bahnreisen in diesen Tagen zu einer mehr als zaehen Angelegenheit. Neben uns wartet eine Gruppe indischer Schulmaedchen auf dem Boden liegend, unter einer Decke aneinandergekuschelt - sie singen, halten sich an den Haenden, erzaehlen lebhafte Geschichten. Als unser Zug mit (nur) drei Stunden Verspaetung einfaehrt, sind sie weiterharrend eingeschlafen, ein Gewirr an kleinen Koerpern, eine bunte Insel in der Mitte des Raums. Niemand hier murrt, verzieht das Gesicht - es ist, wie es ist.




Es ist Mitternacht, als wir unsere Liegen beziehen, ein Abteil mit sechs Klappbetten, jeweils drei uebereinander, durch einen Vorhang vom Gang getrennt - ich bin erschoepft, schlafe tief und wache erst irgendwann am Vormittag auf. Wir stehen am Feld vor einer Weiche (wie noch hunderte Male im Verlauf der Reise). Eigentlich sollten wir bald ankommen, aber noch nichtmal die Haelfte des Weges liegt hinter uns. Anfaengerfehler: Wir haben keinen Proviant eingepackt, also uebe ich mich im Bahnhofsshopping. Bei einem Stopp aussteigen, durch das Gewimmel kaempfen, Bananen, Kekse, Wassser kaufen, immer mit einem Blick beim Zug, der irgendwann langsam weiterrollt. Die Tueren schliessen nicht wie bei uns, es geht im Schritt-Tempo ohne Warnung los, und alle die ausgestiegen sind, um zu rauchen oder einzukaufen, springen ohne Hast auf, waehrend sich die Teeverkaeufer an ihnen vorbei wieder nach draussen draengen.


Der Kontrast zwischen dem Tumult in den Stationen und der stoischen Gelassenheit in unserem fahrenden Heim ist ueberwaeltigend. Draussen seint ein ganzer Kontinent zu rasen, zu toben, zu kaempfen, waehrend hier drin fast meditative Ruhe herrscht. Unsere Mitreisenden uebersetzen Zwischeninformationen fuer uns, bieten ihr Haus, ihre Kopfschmerztabletten und ihre Mobiltelefone an. Neben all dieser Freundlichkeit, die wir erfahren, sind wir auf der Hut - nie sind wir ganz sicher, wann wir hereingelegt werden und bereits jetzt haben wir unser Lehrgeld bezahlt, bei Haendlern, Taxifahrern, Buchungsvermittlungen.

Nach 21 Stunden erreichen wir Varanasi, die heiligste Stadt der Hindus - es ist Nacht geworden und die Stimmung am Bahnhof ist wie in einem Endzeitfilm. Alles ist in tiefen Nebelschwaden versunken, Menschen in Lumpen gehuellt kauern am Boden, wir werden verfolgt, belauert, bedraengt. Ich stolpere fast ueber einen Sadhu, der seinen Dreizack in die Hoehe streckt und mich zahnlos anfletscht, und alles in mir ist angespannt. Wir haben kein Quartier gebucht, also folgen wir einem der zahlreichen Fahrer und geben eine Adresse am Ganges an, bei der wir Unterkunft finden wollen. Dieser Teil der Stadt ist fast ausgestorben, am Strassenrand lungern Hunde, ein paar kleine Feuer am Boden, um die sich zwei, drei Gestalten scharen und Kuehe queren unseren Weg. Wir muessen zu Fuss weiter, weil die Strasse zum Fluss gesperrt ist und geben letztendlich einem der Keiler nach und lassen uns zu seinem Guesthouse bringen. Es ist eine Absteige. Egal.

Wir werfen unser Gepaeck ins Zimmer und gehen nochmal raus, mit Muehe koennen wir in einem Hotel den Koch bestechen, uns noch ein Essen zu kochen. Am Rueckweg verlaufen wir uns in dem Gassengewirr und es soll ein langer, unheimlicher Weg zurueck werden.

Ich kann das Elend und die Armut nur schwer ertragen, an jeder Ecke springt sie uns an, ist zu riechen, zu hoeren, zu fuehlen. Dennoch bin ich in seltsamer Hochstimmung - Agra war zu organisiert, der Fahrer, der fuer uns das Denken uebernehmen wollte, ein Guide - und meine Stimmung war gereizt ob dieser Bevormundung. Hier, in diesem apokalyptischen Szenario finde ich ploetzlich Ruhe, fuehle mich auf Reise, frei.

Freitag, 7. Januar 2011

Zweiter Blick...



Indien hat uns. Nach einem Tag in der Matrix (danke Ro, wir haben uns letztendlich fuer die richtige Pille entschieden) sind wir im echten Leben gelandet, im turbulenten Durcheinander, im Smog, im Schmutz, im Chaos zwischen froehlichen Grinsen und betretenem Schweigen. Die Eindruecke stuerzen schneller auf mich ein als ich sie zu Papier bringen koennte und alle 10 Minuten ein neuer Einfall, was dringend ins Blog muss. Es ist kalt - so kalt, dass ich alle verfuegbaren Kleidungsstuecke Tag und Nacht ubereinander trage und ich meine Muetze nur abnehme, um mir das Gesicht zu waschen.


Nach einem Sightseeing-Tag in Delhi, an dem alles in Nebel und Smog versinkt, beginnt der gestrige Morgen mit dem falschen Fahrer, der zufaellig auch vor unserem Guesthouse wartet und uns zum Flughafen statt nach Agra bringen will. Seitdem haelt uns der echte Fahrer fuer touristische Anfaenger, womit er a) recht hat und was er uns b) spueren laesst. Seine Hand ist an der Hupe angewachsen und sollte ich jemals geglaubt haben, ich waere verkehrstechnisch abgebrueht und advanced, dann werde ich hier eines besseren belehrt. Dennoch: Das Taj Mahal ist den Abstecher wert. Kein Foto kann abbilden, wie erhaben es tatsaechlich ist. Uns wurde berichtet, dass Frauen dutzendweise in Traenen ausbrechen, wenn sie einen ersten Blick erhaschen und nun ja... mit ein wenig mehr Sinn fuer Romantik *huestel* koennte ich das auch vollkommen nachvollziehen


In einer Stunde geht unser Nachtzug nach Varanasi und wir lassen uns erstmals auf das Abenteuer Indian Railways ein (was wir schon frueher getan haetten, waere nicht alles ausgebucht gewesen). Mehr von dort - wir bleiben ein paar Tage.

Mittwoch, 5. Januar 2011

Erster Eindruck in Delhi

Ich bin irritiert. Wir kamen gestern auf die Minute puenktlich in Delhi an, flanierten ueber den blitzsauberen psychedelisch gemusterten 70er-Jahre-Teppich zur Passkontrolle, an der uns ein freundlicher und ausnehmend arbeitsamer Beamter nach nur 5 Minuten Smalltalk die Tuer in den Subkontinent oeffnete. Unser Gepaeck war knapp nach uns am Foerderband und in der Ankunftshalle stand tatsaechlich bereits ein Fahrer, der unseren Namen auf einem Schild vor sich hertrug. Wir wurden kein einziges Mal angesprochen, aufgefordert, angerempelt. KEINmal. Es war kaum mehr Verkehr als im Fruehmorgenverkehr in Kritzendorf (okay, in diesem Punkt untertreibe ich, aber ehrlich, ich musste nicht einmal einen Muskel vor Angst anspannen) und das Zimmer war zwar eiskalt und vollkommen dezentral, aber gemuetlich und von Meister Propper persoenlich gereinigt. Es gab warmes Wasser und soviel Druck in der Leitung, dass man beinahe so etwas aehnliches wie eine Dusche nehmen konnte.

Es lief alles wie am Schnuerchen - was zugegebenermassen so jenseits meiner Vorstellungskraft lag, dass es fast schon ein bisschen enttaeuschend war.