Eigentlich wollte ich einen Bericht ueber Pashupatinath, Nepals heiligsten hinduistischen Pilgerort, verfassen. Jener Ort, den ich im Vorjahr schon besucht hatte und den ich unbedingt ein zweites Mal sehen wollte, weil er in mir das Gefuehl hinterliess: Ein einzelner Eindruck reicht hier nicht aus. An den Ufern des Bagmati, der zu dieser Jahreszeit eine zaehe Kloake aus Muell und verschmutzten Abwaessern ist, werden Verbrennungszeremonien durchgefuehrt, ein paar Meter flussabwärts wird Wäsche gewaschen und der Rauch schwaengert die Luft ueber der gigantischen Anlage aus Tempeln, Pagoden und Treppen.
Diebische Rhesusaffen turnen ueber zerfallene Mauerreste, aus einer einsamen Ecke, in die ich mich zurueckziehen will, taucht aus dem Dunkel ein aschebemalter Sadhu auf und laesst mich zurueckschrecken und oben auf dem Huegel verkaufen Haendler Zuckerwatte und Getraenke. Auf einer Steinstufe neben einer Hoehle sitzt ein junger Mann und weint - und in einem der zahlreichen Shivalayas (kleine Tempel, in denen shiva-lingams aufgestellt sind) streiten sich zwei Strassenkinder. Sie wohnen hier. Ein Liebespaar geht umschlungen an mir vorueber und ich fuehle mich versteinert. Alles ist fliessend - es gibt keine Trennung zwischen Leben und Tod an diesem Ort.
Worueber ich aber eigentlich berichten moechte, ist der anschliessende Spaziergang. Ein paar Minuten auf dem Weg zu einer Stupa, die in den Slums von Kathmandu endeten - keine lustige Geschichte fuer heute. Ich hatte beschlossen, mich quer durchzuschlagen und auf das Taxi zu verzichten, also hantelte ich mich von einer Wegbeschreibung zur naechsten in Richtung Boudha. Als mich eine junge Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand ansprach, tat ich erstmal das, was die meisten Menschen hier in solchen Situationen zu tun pflegen: Ich ging weiter. Sie lief mir nach, bat um Milchpulver und deutete auf einen kleinen Laden an der Ecke - wo ich eine Packung bezahlte und ihr in die Hand drueckte.
"You come to my home and drink tee. Please. You give me milk, I give you tee, come please! I name Kamala"
Alle freundlichen Ausfluechte meinerseits waren vergebens, also liess ich mich in die naechste Seitengasse schubsen und folgte (ich hoere den Aufschrei zuhause). Kamalas Home war ein zeltaehnlicher Verschlag innerhalb einer Kolonie an Bretterbuden, alten Lumpen und Wellblech. Ihre drei Kinder sassen staunend um mich herum und strahlten um die Wette, waehrend meine neue Bekanntschaft am Boden Tee zubereitete. Ich will nicht so genau wissen, woher das Wasser kam, aber es kochte ueber einer Flamme aus Plastikfetzen und ich hoffte, das wuerde ausreichen, um das meiste Leben darin auszuloeschen. Kamalas Bruder Ram kam hinzu, der
mir mit ein paar Brocken Englisch die letzten Jahre aufrollte: Der Ehemann krank in Indien, woher die ganze Familie stammt, sie wollen wieder zurueck und haben kein Geld fuer ein Ticket. Er selbst sei Schuhmacher und muss eine "Schuhbox" kaufen, ohne die er nicht arbeiten koenne. Ich fuehlte mich unbehaglich. Als ich mich auf den Weg machte, drueckte ich Kamala 1.000 Rupies in die Hand und fuehle mich noch unbehaglicher. Fuer nepalesische Verhaeltnisse war das kein unerheblicher Betrag, aber er wuerde weder ausreichen, Tickets zu besorgen noch die komplette Arbeitsausruestung fuer einen Schuhmacher zu kaufen. Ram drueckte mir die Hand, aber ich konnte seine Enttaeuschung spueren, dass die reiche Fremde nicht mit einem Griff in ihre Brieftasche alle Probleme beseitigt hatte. Am Weg zur Hauptstrasse kam ich an vielen Familien vorbei. So viele Kinder. So viele Geschichten. Und ein Gefuehl in meinem Magen, dass ich so viel mehr haette tun muessen.